OMISM: Fahrzeuginterne Überwachung zum integrierten Systemverständnis und zur Betriebsverbesserung in Eisenbahnen

Die Nutzung des Schweizer Eisenbahnnetzes hat in den letzten 20 Jahren um 53 % zugenommen1. Das Verkehrsaufkommen pro Streckenkilometer ist eines der höchsten weltweit und nähert sich 100 Fahrzeugkilometern pro Kilometer und Tag, was etwa doppelt so viel ist wie in den meisten anderen europäischen Eisenbahnnetzen2. In der gegenwärtigen internationalen Praxis beruhen die Überwachung des Zustands und die entsprechende Planung der Instandhaltung der Infrastruktur fast ausschließlich auf Inspektionen vor Ort oder in Werkstätten, bei denen spezielle Bewertungsmethoden (wie Ultraschall) eingesetzt werden. Solche Inspektionen werden entweder in regelmäßigen Abständen durchgeführt oder durch das Auftreten von Unregelmäßigkeiten oder potenziell unsicherem Verhalten ausgelöst. Die Nutzung von Daten, die aus instrumentierten Fahrzeugen extrahiert werden, ermöglicht es, solche Systeme durch einen Zustandsinformationsfluss in verschiedenen Auflösungen zu ergänzen. In der Schweiz wurde die Praxis der Erfassung zustandsrelevanter Daten durch den Einsatz von instrumentierten Fahrzeugen von den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) frühzeitig übernommen. Das Ziel von OMISM war es, diese Daten mit dem Ziel zu nutzen, das Paradigma der globalen Zustandsbewertung und -überwachung für Eisenbahnen zu verändern.

Zu diesem Zweck nutzte das Team eine Mischung aus fahrzeugseitigen Überwachungsdaten, die sowohl von einem Diagnosefahrzeug (gDFZ) als auch von einem instrumentierten, in Betrieb befindlichen Zug (ICN) gewonnen wurden, um den Gesundheitszustand und mögliche Fehler der Eisenbahninfrastruktur zu diagnostizieren.

Das Projekt bestand aus zwei Projektspuren:

  1. Bestimmung von Größen, welche gemessen werden müssen, welche Daten benötigt werden, ergänzt durch mathematisch-statistische Modelle des interagierenden Systems (Säule I),
  2. Bestimmung der Prozesse und kritischen Parameter, die eine Senkung der Lebenszykluskosten und eine Leistungsverbesserung des Eisenbahnverkehrssystems ermöglichen (Säule II).

Hauptergebnisse und Schlussfolgerungen des Projekts

Ein neuer Ansatz zur Überwachung von Eisenbahnstrecken, der auf der Verwendung von Schwingungsdaten zur Ableitung von Zustandsindikatoren beruht

In der ersten Säule, die von Cyprien Hoelzl unter der Leitung von Eleni Chatzi, Professorin für Strukturmechanik und Überwachung an der ETH Zürich, geleitet wurde, wurde ein umfassender Ansatz zur Überwachung von Eisenbahnschienen entwickelt, der sich in erster Linie auf die Nutzung von schwingungsbasierten Daten stützt und deren Wirksamkeit im Hinblick auf die Entdeckung von Defekten mit langer (Längsebene) und kurzer Wellenlänge (Oberflächenfehler, Schweißnähte, Squats) bewertet.

Anhand von Anwendungen in mehreren Fallstudien zeigen wir das Potenzial beschleunigungsbasierter Ansätze zur Ergänzung und Unterstützung herkömmlicher Überwachungssysteme. Ein datengesteuerter Ansatz, der sich auf einen Vold-Kalman-Filter stützt, wurde eingeführt, um die periodischen geschwindigkeitsabhängigen Komponenten eines gemessenen Radsatzlager-Beschleunigungssignals zu identifizieren, wie z. B. die Schwellendurchfahrtsfrequenz und die Rad-Unrundheitsordnung. Die Komponenten der Unrundheit der Räder sind für die Erkennung von Raddefekten nützlich, was ein Nebenergebnis des Projekts ist, das sich mehr auf den Zustand des rollenden Materials bezieht, während die Amplitude der Schwellendurchgangsfrequenz als Proxy für den Gleiszustand (Steifigkeit) dient. Die Untersuchung eines Gleisabschnitts, von dem Überwachungsdaten an Bord gewonnen wurden, hat außerdem gezeigt, dass Gleisabschnitte mit höherer Steifigkeit offenbar mit höheren Kräften und verstärkten Instandhaltungsmaßnahmen korrelieren.

Die Arbeit befasst sich ferner mit der Bewertung kritischer Komponenten der Schiene in einem so genannten Kurzwellen-Klassifizierungsschema. Die Schiene ist ein Element, dessen strukturelle Integrität für die Betriebssicherheit von wesentlicher Bedeutung ist und das einer hohen Belastung ausgesetzt ist, die zum häufigen Auftreten von Fehlern wie Kniebeugen, Rissen oder Oberflächenfehlern führt. Es wird ein auf Beschleunigung basierendes automatisches Klassifizierungssystem zur Klassifizierung der wichtigsten Schienenkomponenten und Oberflächenfehler (gesunde Schiene, Oberflächenfehler und Squats, isolierte Verbindungen und Schweißnähte) vorgeschlagen. Random Forests (RFs), die auf technischen Merkmalen trainiert wurden, werden Convolutional Neural Networks (CNNs) gegenübergestellt, die auf den Koeffizienten der Kurzzeit-Fourier-Transformation der gemessenen Beschleunigungssignale trainiert werden. Während die Validierung des Systems aufgrund der Schwierigkeiten bei der Ableitung von Etiketten nicht vollständig bestätigt werden kann, unterstützt die Implementierung die Automatisierung und motiviert die Implementierung von beschleunigungsbasierten Klassifikatoren zur Unterstützung der Früherkennung von Fehlern.

Der Einfluss der Zuverlässigkeit von Kennzeichnungen aus den verfügbaren Zustandsüberwachungsdatenbanken und die Einbeziehung von Expertenfeedback in den Analyseprozess schließen den Kreis unseres vorgeschlagenen Systems. Wir konzentrierten uns auf Schweißnähte als kritische Komponenten der Eisenbahninfrastruktur und führten eine Proof-of-Concept-Studie durch, bei der von der OBM abgeleitete Indikatoren, Datenbankinformationen und Expertenfeedback in den Kreislauf einbezogen wurden. Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit Asset Managern und Fachleuten der SBB durchgeführt. Das System kombiniert Vor-Ort- und Sichtprüfungen, Diagnoseinformationen und Experteneinschätzungen, um die Erkennung von Schweißnahtfehlern anhand von Ausreißern bei den Indikatoren der On-Board-Monitoring-Systeme zu automatisieren. Die Ergebnisse dieser ersten Untersuchung sind ermutigend, zeigen aber auch Herausforderungen auf, wie z. B. niedrige Präzisions- und Wiedererkennungsraten, die u. a. mit der hohen Unsicherheit der Kennzeichnungen zusammenhängen; ein Aspekt, der zu weiteren Arbeiten motiviert.

Vergrösserte Ansicht: DFZ Wärmebildkarte
Wärmebildkarte zur Veranschaulichung der Standardabweichung des D1-Längsniveaus über 100 Meter anhand von DFZ-Messungen. Herkömmliche Inspektionszüge (DFZ) verkehren 2-3 Mal pro Jahr und die Gleisverschlechterung kann nicht überwacht werden. (ETH Zürich / T.H. Yan)
Vergrösserte Ansicht: OBM Wärmebildkarte
Wärmebildkarte, die die Standardabweichung des D1-Längsniveaus über 100 Meter unter Verwendung von ICN-OBM-Schätzungen zeigt. On-Board-Monitoring (OBM) ermöglicht eine wöchentliche oder sogar tägliche Aufzeichnungsfrequenz zur Überwachung des Degradationsprozesses der Gleise. (ETH Zürich / T.H. Yan)

Nutzung von On-Board-Monitoring-Daten für eine effektive Entscheidungsfindung bei der Eisenbahninstandhaltung

Säule II, die von Tzu-Hao Yan unter der Leitung von Francesco Corman, Professor für Verkehrssysteme, geleitet wurde, konzentrierte sich zunächst auf die Grundsätze für die Auswahl und Entwicklung von Gleisqualitätsindizes (TQIs) zur Bewertung des Gleiszustands, um die Entwicklung neuer TQIs auf der Grundlage neuer Datentypen zu erleichtern. Anschließend wurden mehrere neue und bereits angewandte Modelle für die Verschlechterung des Gleiszustands unter Verwendung von On-Board-Monitoring (OBM)-Daten vorgeschlagen, d. h. Daten, die von Sensoren erfasst werden, die an Schienenfahrzeugen (sowohl im Diagnose- als auch im Betriebszustand) angebracht sind. Dabei wurden die jeweiligen Stärken und Grenzen der Modelle hervorgehoben, wie z. B. die Widerstandsfähigkeit gegenüber unregelmäßigen Überwachungsintervallen oder hohen Sensorfehlerraten, und die Vorhersagegenauigkeit dieser Modelle untersucht. Eine anschließende Verifikationsstudie zeigte die Machbarkeit der Verwendung von OBM-Daten für die Planung effizienter Wartungsarbeiten. Durch vergleichende Analysen wurden Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den OBM- und den Track-Recording-Vehicle-Datensätzen sowie eine Bewertung der Beziehung zwischen Vorhersagegenauigkeit, Sensorfehlerraten und Überwachungshäufigkeit herausgearbeitet. Weitere Forschungsarbeiten untersuchten die Drivers' Response Failures (DRFs) - Unregelmäßigkeiten in der Gleisgeometrie, die von professionellen Zugführern erkannt werden - und ihre Korrelation mit dem Gleiszustand, um die Betreiber der Eisenbahninfrastruktur bei der Aufstellung von Wartungsplänen zu unterstützen. Durch vergleichende Analysen wurden Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den OBM- und den Gleisaufzeichnungsfahrzeug-Datensätzen herausgearbeitet sowie eine Bewertung der Beziehung zwischen Vorhersagegenauigkeit, Sensorfehlerraten und Überwachungshäufigkeit vorgenommen. Weitere Forschungsarbeiten untersuchten die Drivers' Response Failures (DRFs) - Unregelmäßigkeiten in der Gleisgeometrie, die von professionellen Zugbetreibern festgestellt werden - und deren Korrelation mit dem Gleiszustand, um die Betreiber der Eisenbahninfrastruktur bei der Erstellung von Wartungsplänen zu unterstützen. Es wurde ein Wartungs- und Inspektionsplanungsmodell vorgeschlagen, das OBM-Inspektionen und DRFs integriert, wobei Fallstudien die Vorteile dieses Ansatzes unterstreichen.

Die aus beiden Säulen gewonnenen Erkenntnisse wurden zu einem umfassenden Framework verknüpft, indem die in Säule I abgeleiteten Zustandsindikatoren genutzt und in Säule II integriert wurden, um die Instandhaltungsplanung zu optimieren.

Das weitere Vorgehen

Mit Blick auf die Zukunft beabsichtigt Säule I, weitere Elemente wie Brückenstrukturen und Weichenkomponenten zu untersuchen, die zentrale Komponenten des Netzes sind und von einer fahrzeuggestützten Zustandsbewertung erheblich profitieren könnten. Trotz der zunehmenden Beliebtheit der Vor-Ort-Sensorüberwachung für diese Anlagen verspricht die fahrzeuggestützte Überwachung eine größere Skalierbarkeit. Säule II zielt darauf ab, die Anwendung von OBM-Inspektionsdaten in der Wartungs- und Inspektionsplanung zu vertiefen und stellt eine relevante Forschungsfrage: Wie viele kommerzielle Züge müssen mindestens mit OBM-Techniken ausgestattet werden, um ein zufriedenstellendes Systemverständnis zu erreichen, ohne dass dabei übermäßige Kosten entstehen? In Anbetracht der Einschränkungen beim Ein- und Ausbau der Sensoren in den Betriebshöfen sowie der Einschränkungen bei der Fahrplan- und Fahrzeugplanung versucht dieses Modell, die optimale Anzahl von Zügen für den Einsatz der OBM-Technik zu ermitteln, um eine ausreichende Datenabdeckung über verschiedene Schienenabschnitte hinweg zu gewährleisten.

Eleni Chatzi und Cyprien Hoelzl verweisen auf die Herausforderungen, die sich aus der Anwendung in einem praktischen Umfeld mit hohen Anforderungen ergeben. Die Partnerschaft mit der SBB hat sich als hilfreich erwiesen, um die Herausforderungen aufzuzeigen und einen Ansatz zu verwirklichen, der auf der Verschmelzung verschiedener Informationen beruht, um neue Wege für Forschung und Umsetzung zu erschließen.

Auch Francesco Corman und Tzu-Hao Yan weisen auf die Herausforderungen hin, die sich aus minderwertigen oder nicht verfügbaren Datensätzen ergeben, die durch die Diskrepanz zwischen akademischen und industriellen Zeitplänen noch verschärft werden. Die Verfügbarkeit von Daten aus der Praxis hat jedoch ihre Forschungsbemühungen bestätigt. Die Zusammenarbeit mit der SBB lieferte nicht nur wichtige Daten, sondern erleichterte auch das Verständnis der praktischen Wartungs- und Inspektionsplanungsprozesse, so dass Tzu-Hao Yan ein praktikableres Planungsmodell vorschlagen konnte. Durch die häufige Interaktion wurden redundante Studien vermieden, so dass sich beide Parteien besser auf ihre Hauptziele konzentrieren konnten.

Thomas Wissert von der SBB lobt die reibungslose Zusammenarbeit, die anfangs durch COVID-19 behindert wurde, und würdigt die technische Machbarkeit des Projekts und die Bedeutung der Datenqualität für die Überwachung der Anlagen. Die SBB schätzt die den Studierenden gewährte Autonomie, die zu positiven Ergebnissen geführt hat, und ist bereit, sich an zukünftigen innovativen Projekten mit der ETH zu beteiligen.

Thomas Wissart
«Wenn wir uns an Innovationsprojekte wagen, bei denen der theoretische und innovative Gehalt entscheidend ist, würde ich sehr gerne wieder mit der ETH zusammenarbeiten. So können wir von der Qualität der technischen Forschung profitieren.»
Thomas Wissart
Thomas Wissart (SBB)

Schließlich möchten wir insbesondere unseren Partnern aus den Abteilungen Metrologie (MUD) und Strategisches Asset Management des Fahrwegs (SAFB), darunter Aurelia Kollros, Marcel Zurkirchen, Lucian Ancu und Stanislaw Banaszak, sowie den Fahrbahnexperten der SBB danken, die die Entwicklung dieses Proof-of-Concept-Datensatzes von fehlerhaften Schweißnähten unterstützt haben.

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